Kindergartenarchitektur

Kindergartenpädagogik und Architektur in West und Ost nach 1945

Nach dem II. Weltkrieg vollzog sich die Entwicklung der Kindergärten in Ost- und Westdeutschland in unterschiedlicher Weise. Unterschiedliche wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Verhältnisse in beiden deutschen Staaten führten nicht nur zu verschiedenen Sichtweisen in der Kindergartenpädagogik, sondern auch zu unterschiedlichen Bauten im Bereich der Kindergartenarchitektur.

Während man in der DDR die öffentlichen Kleinkinderziehung (von drei Jahren bis zur Einschulung) dem staatlichen Schul- und Bildungssystem zuordnete und damit dem Kindergarten einen klaren Erziehungs- und Bildungsauftrag gab, definierte die Bundesrepublik Deutschland die Einordnung des Kindergartens in die Jugendhilfe, als familienergänzende Erziehungs- und Bildungseinrichtung (vgl. Neumann, K., 1987, S. 92/93).  In den frühen Nachkriegsjahren, begann man in beiden deutschen Staaten wieder mit dem Bau von Kindertageseinrichtungen.

Während in Bundesrepublik durch Architekten individuelle Entwürfe für Kindertageseinrichtungen erarbeitet wurden, versuchte man in der DDR durch die Industrialisierung der Bauproduktion und Fertigteilbauweise Typenbauten zu entwickeln, die landesweit vielfach errichtet und reproduziert wurden. Dabei waren die Kindergärten in der DDR für westliche Verhältnisse äußerst großzügig bemessen. Während man in der DDR 2,5 qm² pädagogische Nutzfläche pro Kind zu Grunde legte, berechnete man in der BRD auf Grundlage von 1,5 qm² (vgl. Cuadra, M., 1996, S.22). Insgesamt zeichnete sich die Kindergartenarchitektur in der Bundesrepublik Deutschland jedoch durch mehr Individualität aus. Aber auch hier wurden ebenfalls standardisierte Kindergärten durch Bauprogramme mit Systembauten für Großstädte entwickelt (ebenda, S. 22ff).

In Westdeutschland wurden Tageseinrichtungen für Kinder zunächst als Einrichtungen für Familien in sozialen Notlagen gesehen. Eiegntlich galt das Modell der primären Verantwortung der Familien für ihre Kinder. Die weitere, bis in die 70er Jahre zögerliche Entwicklung, lag in den Händen der Bundesländer. Als Folge der bildungspolitischen Debatten dieser Jahre wurden verschiedenste Modelle der Vorschulerziehung entwickelt und erprobt. Eine Expansion der Kindergartenplätze, die überwiegend von freien Trägern betrieben wurden, setzte ein. Mehrere Bundesländer führten Kindergartengesetze mit Regelungen zu qualitativen Mindestbedingungen und zur Finanzierung ein. Bei einer Bedarfsdeckung von rund 68 bis 79 Prozent für 3- bis 6- jährigen Kinder stagnierte der weitere Ausbau bis in die 90er Jahre hinein. Die Versorgungslage mit – überwiegend auf die Vormittagsstunden begrenzten – Halbtagsplätzen war zudem regional sehr unterschiedlich.

Zum Zeitpunkt der Einführung des Rechtanspruches auf einen Kindergartenplatz für jedes Kind waren daher unterschiedliche Ausgangslagen zu harmonisieren. Es entwickelte sich die Forderung nach einem starken Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung in den alten Bundesländern nach einem Modell der gemeinsamen Verantwortung von Familie, Staat und Gesellschaft für Kinder (vgl. Neumann, 1987, S. 100ff).

Karola Bloch- Architektin und Publizistin (1905 – 1994)

Karola Bloch wurde 1905 in Lódz als Tochter eines jüdischen Textilfabrikanten geboren, sie entstammte einer arrangierten Ehe. Nach ihrer Schulzeit in Lódz, Moskau und Berlin studiert die Fabrikantentochter Architektur in Berlin – wohin ihre Familie 1921 übersiedelte. 1934 schließt sie ihr Studium an der Universität Zürich ab. Im selben Jahr noch heiratet sie den Philosophen Ernst Bloch. Trotz aller Risiken, kehrte die Jüdin und Kommunistin Bloch in den dreißiger Jahren nach Berlin zurück. Von hier aus informierte sie die Kommunistische Partei in Moskau über die Vorgänge in Nazi-Deutschland. 1937 verlässt das Ehepaar Bloch Deutschland und emigriert über Wien, Prag und Paris in die Vereinigten Staaten, wo Karola Bloch als Architektin zur Haupternährerin ihrer Familie wird.

1956 gehen Karola und Ernst Bloch mit ihrem Sohn Jan-Robert in die DDR, wo sie sich die Verwirklichung der eigenen politischen Vorstellungen erhoffen. Ernst Bloch übernimmt einen Lehrauftrag an der Universität Leipzig und Karola Bloch entwirft Kindergärten und Kinderkrippen im Auftrag der Deutschen Bauakademie. 1957 wird die Stalinistin Bloch aus der KPD ausgeschlossen. Mit dem Mauerbau im August 1961 und der wachsenden Unterdrückung geistiger Freiheit in der DDR entschließen sich die Blochs erneut zur Auswanderung – diesmal von Deutschland-Ost nach Deutschland-West – und übersiedeln von Leipzig nach Tübingen. Karola Bloch bleibt weiterhin politisch aktiv, gründet unter anderem einen Selbsthilfeverein für ehemalige Strafgefangene und unterstützt die von Alice Schwarzer ins Leben gerufene Aktion Frauen gegen den § 218.

1951 stellte Carola Bloch ihre ersten Entwürfe von Kindergärten und Krippen vor. Sie leitete zu diesem Zeitpunkt die Abteilung Kindereinrichtungen im Institut für Gesellschaftsbauten der Deutschen Bauakademie (DBA) in Berlin-Ost. Hier wurden u.a. Schemagrundrisse für Kindereinrichtungen als Diskussions-grundlage entwickelt, um verbindliche Vorgaben für industrielles Bauen zu definieren. Neben den Grundannahmen zu Ganztagseinrichtungen aus der UdSSR und den Ideen der Wiener Kindergärten von Schütte-Lihotzky beeinflusste Karola Bloch mit ihrer Arbeit nachhaltig die Entwicklung der Kindereinrichtungen in der gesamten DDR.

Karola Bloch betreute nahezu alle Schemaentwürfe der ersten vier Jahre der DBA. Den Serien von Probeentwürfen folgten mehrere Varianten von Kindereinrichtungen. In den Überlegungen wurden die Ideen des modernen Bauens (Bauhaus-Schule) mit den Ideen österreichisch-deutscher Reformpädagogik der 20-er Jahre miteinander verbunden.

(vgl. Bloch, K., Aus meinem Leben, In Günther Neske, Pfullingen 1981, S. 7 ff)

Funktionsschemata für Krippe und Kindergarten, 1951-52 vom Institut für Gesellschaftsbauten der Deutschen Bauakademie DBA

Grundannahmen:

  • Nord-Süd-Ausrichtung der Baukörper
  • Gänge und Eingänge nach Norden
  • Gruppenräume Terrassen und Balkone nach Süden
  • Flure und Treppenhäuser als Zentrum
  • links und rechts gehen die Gruppenbereiche ab
  • die innere Aufteilung folgt der Traditionslinie bis in die Frühzeiten des sozialen Bauens

Abbildung entnommen aus, Berlin und seine Bauten, 2003

Schemagrundriss Kindergarten 1951, Karola Bloch

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung entnommen aus, Berlin und seine Bauten, 2003,
Teil VII, S.114

Die meisten Entwürfe sind von einer Vermeidung langer Flure, der Schaffung eines unmittelbaren Zuganges in den Garten und einer schnellen Erreichbarkeit der Sanitärbereiche gekennzeichnet (vgl. Berlin und seine Bauten, Teil VII, 2003, S.115).

 

Industriealisierung des Bauens von Kindertageseinrichtungen in der DDR

Die Frage der Wirtschaftlichkeit trieb die Weiterentwicklung der Schemagrundrisse voran. Im Vordergrund der Untersuchungen stand die Reduzierung von Nebenflächen, die Verringerung der Gruppengrößen und die damit verbundene Dimensionierung der Gruppenräume. Die Kennzahlen vergleichbarer Objekte aus der UdSSR und aus Österreich zeigten wirtschaftlichere Grundrisslösungen auf. Die konventionell errichteten Gebäude waren zu teuer, die Bauzeiten zu lang und die Effektivität der Produktion zu gering. Mit der Formulierung der Ziele

  • Senkung der Baukosten,
  • Verkürzung der Bauzeit und
  • Verbesserung der Qualität

setzte die industrielle Massenfertigung im Sozialen Bauen ein.

1956 wurde das „Institut für Typung“ gegründet. Die DDR-Bauwirtschaft konzentrierte sich anfangs auf die Beseitigung des Wohnungsmangels. Dabei wurden hauptsächlich Wohnbauten industriell errichtet, ohne die soziale und gesellschaftliche Infrastruktur in den Großsiedlungen zu bedenken. Diese Defizite  wurden erst ab ca. 1960 berücksichtigt. Standardisierte Bautypen wurden geplant, wiederholend und durch geringfügige Anpassung am jeweiligen Standort errichtet. Diese Phase wird als „Standortlose Planung“ bezeichnet. Kennzeichnend für diese Art Bauten von Kindereinrichtungen ist die strikte bauliche Trennung von Kindergarten und Kinderkrippe in autonome Gebäude.

Es ging um die Nutzung einheitlicher, industriell vorgefertigter Bauteile, die vorrangig für den Wohnungsbau und zugleich für Wohnfolgeeinrichtungen, wie Gesellschaftsbauten, Kindergärten, Schulen, ärztliche Versorgungseinrichtunegn etc. verwendet werden konnten. Das geschlossene Baukastensystem war durch gleiche konstruktive, funktionale und gestalterische Bauteile bestimmt, ohne Ortsbezug und konnte standortunabhängig errichtet werden (vgl. Cuadra, M., 1996, S.27).

 

Helmut Trauzettel

Seit den frühen fünfziger Jahren setzte sich der Dresdner Architekt Helmut Trauzettel mit der Typisierung von Gebäuden der Kindereinrichtung auseinander. Ausgehend von der Betrachtung mehrerer Betreuungssysteme formulierte er Ziele, wie beispielsweise die Förderung der Selbstständigkeit und der Motorik der Kinder, in seinen Entwürfen. Demzufolge sollten Kinderkrippen im Idealfall aus vier Gruppen mit 64 Kindern oder maximal aus fünf Gruppen mit 80 Kindern bestehen. Für die Kindergärten sah er acht Gruppen mit 144 Kindern vor. Beide Einrichtungen sollten aber bei der Kombination der Bauten streng getrennt bleiben (vgl. Cuadra, M., 1996, S.27)

In Veröffentlichungen wie beispielsweise „Kinder-und Jugendeinrichtungen für unsere Wohngebiete“ setzte er sich für den Wohnungsbau und die gleichzeitig Sicherung der sozialen und gesellschaftlichen Infrastrukturen in den Großsiedelungen ein.

Mit der Entwicklung des Wohnungstyps „Dresden“ – 1962 – erbrachte Trauzettel den Beweis, dass eine Ergänzung um wenige Sonderbauteile es ermöglicht, Kindereinrichtungen mit den Bauteilen der Montageelemente der 2-MP-Gewichtsklasse zu errichten. Bereits 1962 erfolgte die Errichtung des Prototyps eines Kindergartens mit 64 Plätzen in Streifenbauweise der Serie P1 in Seestadt-Ost Dresden. Die weitere Typenentwicklung für Kindereinrichtungen wurde ausgehend von den Ergebnissen des im Jahre 1963 ausgeschriebenen Wettbewerbes für „Gesellschaftliche Bauten im Wohngebiet“ beeinflusst.

Nach Trauzettels Konstruktionsprinzip wurde der „Typ 66“ als Kinderkombinationseinrichtung entwickelt. Dieser wurde für die folgenden Jahre als Standard und meistgebauter Typus für Kindereinrichtungen – auch in Berlin – errichtet.

„Kinderkombination“ Typ 66

Stephan DietrichArchitekt   – Kita am Birkenwäldchen in Panketal – 2009

Entwurfskriterien

Grundstück
Maximaler Erhalt des Baumbestandes
Aufnahme der Bauflucht

Gebäude
Kompakter ökonomischer Baukörper
Nachhaltige Baumaterialien
Sinnvolle Orientierung zur passiven Nutzung der Solareinträge
Vorbereitung zur Nutzung alternativer Energieträger
Maximale Reduzierung der überbauten Fläche

Funktionen
Klare Orientierung im Gebäude durch Farbe / Licht / Ausblick
Überdachte Freiflächen zur Allwetternutzung
Aufenthaltsräume mit Bezug zum Garten / Sonne
Eltern- und Mehrzweckraum kombinierbar mit Bezug zum Eingang und Garten
Berücksichtigung alternativer Nutzungsmöglichkeiten, z.B. betreutes Wohnen
Eventuell später Kombinierbarkeit mit Nachbarbebauung * Nutzungssynergien

KITA PANKETAL = ENTWURFSSTUDIE –  c. DIETRICH – ARCHITEKT – BDA – VIELFARBKITA